Kubanische Lebensfreude, Jineteros oder Mittel zum Zweck?
Auf den ersten Blick ist es eine schöne Sache, dass sich Touristen und Einheimische so gut verstehen, dass es keine Berührungsängste gibt, dass sofort Hilfe und Begleitung angeboten wird, wenn man ein Restaurant sucht, dass alle zu denselben Bars gehen und schnell miteinander ins Gespräch kommen. Bewundernswert ist die Engelsgeduld, mit der die ersten Salsa-Schritte unterrichtet werden. Aber ist das Hilfsbereitschaft, kubanische Lebensfreude, oder Jineterismus als Mittel zum Zweck?
Jineteros: mehr als Gaunereien?
Das Oxford-Wörterbuch definiert: Ein Jinetero, eine Jinetera ist jemand, der illegale Geschäfte mit Ausländern macht, einschließlich Prostitution.[1] Im Juraforum[2] wird Prostitution definiert als „die Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt. (…)“.
Aber nicht immer läuft es auf sexuelle Handlungen hinaus. Nicht immer wird ein Entgelt eingefordert, nicht immer ist es illegal, oft aber weiß eine Partei nicht, was ihr widerfährt. Die Geschäfte reichen von einer Kommission im Restaurant oder einer Bar, über den Verkauf von überteuerten Zigarren, Vermittlung von Ausflügen bis hin zu Beziehungen mit Ausländern, für die Gegenleistungen erwartet und mehr oder weniger offensichtlich eingefordert werden. Und sicher ist es hin und wieder einfach eine Freundlichkeit oder einfach ein guter Partyabend.
Sind alle gleich?
In ihrer interessanten Masterarbeit „Todos somos jineteros“ = „Wir sind alle Jineteros“ zählt Marit Lehmann vier Typen auf:
- Der klassische Jinetero: er lädt in eine Bar ein, gibt vor ein Freund zu sein und später erkennt man an der Rechnung, dass man ein mehrfaches des regulären Preises gezahlt hat. Er kassiert die Kommission.
- Der Rasta: Er bringt sie zu den Geheim-Tipps, stellt seine Freunde vor und weiß, wo das nächste Reggae-Konzert ist. Natürlich sind nicht alle Rastas Jineteros aber viele tragen den Look, um Touristinnen anzuziehen.
- Der Verführer: Er sieht ihr tief in die Augen, singt und spielt Gitarre, bringt ihr Salsa bei und ist so charmant, dass sie sich verlieben muss. Er fragt nie nach etwas aber sie zahlt gern die Speisen und Getränke.
- Der Prostituierte: Er bietet Sex gegen Geld und sagt es straight-forward.
Eine Unterscheidung kann auch nach dem Alter der Zielperson getroffen werden. Sind es gleichaltrige Frauen, die ihm wirklich gefallen, oder deutlich ältere, von denen eine größere finanzielle Unterstützung erwartet wird? Die Grenzen der Kategorien sind fließend und schließen sich gegenseitig nicht aus.
Prostitution oder nicht?
Mein Stichwort in der Oxford-Definition ist Prostitution. Ursprünglich wollte ich den Artikel anfangen mit: „Meine Freunde sind Prostituierte.“ Dann habe ich die Aussage zu einer Frage umformuliert: „Sind meine Freunde Prostituierte?“ Und letztlich habe ich den Absatz rausgeschmissen. Ich wollte keine polemische Überschrift und möchte Freunde nicht so betiteln, möchte nicht, dass sie sich verkaufen müssen. Es ist auch ein Satz in einer Buchrezension[3], der mich nachdenklicher stimmt. „Jineteras sind keine Prostituierte, sondern Kurtisanen, die Langzeitbeziehungen zu den Personen entwickeln, die sie unterstützen.“ Aber mit Blick auf die vier Typen, trifft das nicht auf alle zu. Was jedoch zutrifft ist, dass es sich um ein Tauschgeschäft handelt – eine Dienstleistung gegen materielle Aufmerksamkeiten.
Die Frage, die sich mir aufdrängt: Würden die Jungs und Mädels nicht ganz bestimmt in ’normalen’ Berufen arbeiten, wenn die Gehälter besser wären?
Necesidad – Notwendigkeit
Die wirtschaftliche Notwendigkeit, die necesidad, die sie en la calle, auf die Straße treibt, ist ein großer Einflussfaktor. Aber ist es wirkliche Not, wo doch Kuba freie Bildung, freie medizinische Versorgung und die grundlegenden Lebensmittel subventioniert? Oder ist es Streben nach Wegen zur Verwirklichung von materiellen Wünschen und einem besseren Leben?
Begünstigend ist sicherlich der freizügigere Umgang mit Sex in Kuba.
Sextourismus in Kuba
Ganz sicher aber gehören zwei Seiten dazu. Es ist in Santiago, wo mir das erste Mal die ungleichen Paare auffallen. Sie, hellhäutige Europäerin, Amerikanerin, Kanadierin, Anfang 50. Er, Kubaner, Mitte Ende 20. Und genauso sind es die hellhäutigen Mitfünfziger, die mit jungen Kubanerinnen zu sehen sind und sich sofort der Gedanke an Sextourismus einschleicht. Es ist ein Problem, nicht nur in Kuba sondern in vielen Staaten der Karibik. So schreibt die Zeit in einem Artikel von 2014:
„Die Freier tauschen sich in Internetforen aus. Dort berichten sie, wie leicht es sei, in Kuba „einen Fang zu machen“. Vielen von ihnen kommen aus Kanada, Spanien oder Italien, aber auch aus Deutschland reisen immer mehr Sextouristen an. Insgesamt ziehe es jährlich etwa 400.000 Deutsche in den Sexurlaub, schätzt die Organisation Missio. Die Karibik gehöre zu den Hauptzielen. Seit sich Kuba für das Ausland öffnet, wird es auch unter Sextouristen immer beliebter.“
Sind Jineteros nun Prostituierte?
Manche sind es per Definition ganz sicher, wenn sie direkt Geld für sexuelle Gegenleistungen einfordern. In anderen Situationen verschwimmen die Grenzen. Die wichtigeren Fragen sind aber:
Warum gehen die Cubanas und Cubanos diese Beziehungen ein?
Werden Armut und die wirtschaftliche Not anderer ausgenutzt?
Und: Wird mit offenen Karten gespielt und ist allen Beteiligten klar worum es geht?
Wie merkt man nun, ob der Gegenüber eventuell ein Jinetero, eine Jinetera ist? Antworten gibt es in: Wie erkenne ich einen Jinetero?
Wenn die Sehnsucht nach Kuba ganz stark ist, trösten diese Dinge vielleicht: Geschenke für Kuba-Liebhaber.
[1] http://www.oxforddictionaries.com/definition/spanish/jinetero Zugriff: 30.April 2016
[2] http://www.juraforum.de/lexikon/prostitution Zugriff: 30.April 2016
[3]http://archive.boston.com/ae/books/articles/2005/08/04/a_lesson_in_cubas_sexual_politics/
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