Ich habe im letzten Post der „Novio-Serie“ berichtet, was Hinweise auf einen Jinetero oder eine Jinetera sind. Hier beschreibe ich, wie sie vorgehen und beginne mit einer kleinen Geschichte, die ich erlebt habe.
Ein Beispiel
Ich stehe am Park und warte auf eine Freundin, als mich Yordan anspricht. Das übliche „Wo kommst du her? Wie lange bist du hier? Dein Spanisch ist gut. Hier kann man viele Ausflüge machen.“
Weil ich in den nächsten Tagen keine Ausflüge plane, nehme ich ihm den Wind aus den Segeln. Ich sehe ihm die Enttäuschung an und trotzdem geht er nicht, um sich eine aussichtsreichere Kandidatin zu suchen. Er fragt, wie ich Kuba finde, wo ich bisher war.
Um es vorwegzunehmen sage ich ihm, dass ich nicht an einem kubanischen Boyfriend interessiert bin. Er sagt: „Ich suche keine ausländische Freundin. Ich rauche nicht. Ich trinke nicht.“
Weil meine Freundin nicht auftaucht und es zu früh zum nach Hause gehen ist, setzen wir die Unterhaltung fort. Er ist studierter Elektroingenieur hat aber den Job wegen der schlechten Bezahlung aufgegeben. Jetzt arbeitet er im Tourismusbereich.
„Ich pendele zwischen dem Ort hier, wohne bei meiner Tante, und dem drei Stunden entfernten Strandort. Dort hat meine Mutter eine Casa. Ich suche Touristinnen, die ich dort hinbringe. Es ist eine schöne Casa, ganz in der Nähe vom Strand.“
Er bietet mir an ein Bier zu kaufen aber ich könnte das nicht annehmen – zu Mal ich ganz genau weiß, dass ich keinen Ausflug mit ihm machen werde.
Ein paar Tage später sehe ich ihn mit anderen Mädels, denen er ein Bier bringt. Er trinkt selber auch. Und raucht. Dann ist er für ein paar Tage nicht in der Stadt. Als ich ihn wiedersehe, hat er eine neue Frau händchenhaltend im Schlepptau, die sehr verliebt aussieht.
Zufällig trifft eine Freundin diese Frau ein paar Tage später. Sie unterhalten sich und sie erzählt, wie verliebt sie ist und wie toll Yordan ist.
Was sie nicht weiß: An ihrem Abreisetag steht er wieder auf dem Platz und spricht Frauen an, wird später ein Bier kaufen, mit ihnen tanzen, sie verliebt ansehen und in die andere Stadt zum Strand fahren. Davor wird er mit seiner Ma telefonieren, die ihn fragt, ob er ein Mädel kennen gelernt hat.
Von Anfang an informiert
Die Profi-Boyfriends sind sehr aufmerksam. In kleineren Orten wissen sie, seit wann jemand im Ort ist. Teilweise sitzen sie an den Busbahnhöfen um die Neuankömmlinge zu beobachten. Sie sind miteinander vernetzt und tauschen die Infos, wenn nötig, aus.
Sie merken sich, wo sie jemanden gesehen haben, mit wem er/sie unterwegs war und lassen das in späteren Gesprächen schmeichelhaft einfließen.
Wie sieht ein Tag bei ihnen aus?
Jeden Abend sind sie unterwegs, in Trinidad, in Havanna – insbesondere auch am Malecon, in Viñales, in Baracoa, in Santiago, in Cienfuegos und und und. Sie tanzen und lernen Touristinnen kennen. Tagsüber vertreiben sie sich die Zeit auf den zentralen Plätzen und beobachten, wer neu im Ort angekommen ist und nutzen die Gelegenheit für erste Gespräche und für Verabredungen später am Tag. Die ungewöhnlichste Frage zur Kontaktaufnahme, die mir in einem Park in Santiago gestellt wurde, ist ob ich ihm bei seinen Handy-Einstellungen helfen könnte. Nach etwas Smalltalk fragte er, ob wir uns später nicht treffen wollen…
Wieso können sie jeden Abend ausgehen?
Manche haben einen regulären Job, der sie für ein paar Stunden oder an einzelnen Tagen beschäftigt. Die wenigsten derer, die „en la calle“, auf der Straße, arbeiten, haben einen geregelten Montag bis Freitag nine to five Rhythmus.
Manche nennen sich Tourguide, manche Tanzlehrer. Andere improvisieren. Wenn gerade Geld aus dem Ausland eingetroffen ist, mieten sie sich ein Auto, um mit Taxifahrten Geld zu verdienen. So oder so bleibt ihnen ausreichend Zeit jeden Abend unterwegs zu sein.
Ein Job ohne freie Tage aber mit viel Zeit
Der nächtliche Job ist ein Job ohne Ferien und Feiertag. Allabendlich ziehen kleine Gruppen von Jineteros oder Einzelkämpfer durch die Straßen, von Montag bis Sonntag. Sie gehen von Bar A, zu Club B, zu Bar C – sie werfen einen kurzen Blick rein, checken die Lage und ziehen in die nächste Bar. Manche allein, manche in Zweier-oder Dreier Gruppen. In größeren Städten wissen sie, welche Bars und Clubs bei Touristen angesagt sind und nutzen dort ihre Chance.
Teamwork
In ihren Heimatstädten kennen sich die Jineteros, weil sie seit Jahren jede Nacht unterwegs sind. Manche haben ein Netzwerk über die Stadtgrenzen hinaus, weil sie als Tourguide ihre Novia begleitet haben. Es ist ein unausgesprochenes Gesetz, dass sie sich nicht in die Quere kommen. Wenn zwei Jungs aus verschiedenen Cliquen zwei Freundinnen kennenlernen, redet keiner schlecht über den Anderen. Die eigene Clique, die Brüder der Straße, kooperiert sowieso und nimmt die neue Novia als cuñada, als Schwägerin, oder als hermana, als Schwester, auf und greift ein, wenn sich ein neuer Tänzer nähert oder vermeldet, wo sich die Novia aufhält.
Es ist Teamwork, von der früher oder später alle profitieren, wenn es darum geht, wer Geld für die nächste Flasche Rum oder wer noch Guthaben auf dem Telefon hat.
Zwei, drei Tages-Schichten
Sie sind von Null auf Hundert, sie haben Zeit und sie kümmern sich und weichen oft keinen Zentimeter von der Seite der derzeit Angebeteten. Sie können tagsüber Ausflüge vorschlagen und Taxis organisieren, bei denen sie eine Kommission erhalten. Abends haben sie Zeit zum Tanzen. Heute sieht man ihn eng umarmt am Strand entlang spazieren, am nächsten Abend, ihrem Abreisetag, zieht er wieder von Bar zu Bar.
Oft sind es nur zwei, drei Tage, bis sie wieder sie selbst sein können und das Spiel von vorne beginnt.
Pick-Up-Artisten: Jinetero = Experte im Beziehungsaufbau
„Ich behandele dich nicht wie eine Touristin.“
„Was ist dir wichtig? Sag mir drei Dinge, die Dir wichtig sind?“
„Wenn heut Dein letzter Tag wäre – was würdest Du machen?“
Solche oder ähnliche Fragen stellen schnell Nähe her und drücken Interesse am Gegenüber aus. Die Herren und Damen wissen genau, wie sie eine Beziehung aufbauen. Sie sprechen schnell von Verliebtsein und Liebe und auch ein Heiratsantrag lässt nicht lang auf sich warten. Von einer Bekannten weiß ich, dass sie am dritten Tag gefragt wurde, ob sie ihn nicht heiraten will.
Fazit
Ich habe viel Zeit für Recherche und in Gespräche investiert. Und ich habe viel Mitgefühl und verstehe die Beweggründe, die die jungen Frauen und Männer dazubringen, ihren Lebensunterhalt auf diesem Weg zu finanzieren. Aber es ist ein Spiel mit Gefühlen und die Wahrheit bleibt (zu) oft auf der Strecke. Ich hoffe mit dieser Artikelserie ein bisschen Licht in das romantische Dunkel in Kuba gebracht zu haben.
Die vorhergehenden Beiträgen aus der „Novio-Serie“ gibt es hier:
Teil I: Was die Augen nicht sehen, fühlt das Herz nicht. Novio Cubano. Der kubanische Boyfriend.
Teil II: Novio Cubano. Der kubanische Boyfriend. Jinetero.
Teil III: Novio Cubano. Jineteros – Prostituierte oder nicht?
Teil IV: Novio Cubano: Heute gefällst du mir. Anzeichen für Jinetero.
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