Es ist bereits dunkel als ich das Flughafengebäude verlasse und in das Taxi steige (oh wie schön sind die überteuerten Fahrten vom Flughafen). Ich bin angekommen, in Santo Domingo. Das erste Mal seit Monaten fühle ich die schwülwarme tropische Luft und die Wetterleuchten sind besser als jedes Feuerwerk. Sie durchkreuzen blitzend den Nachthimmel, für Sekundenbruchteile ist es taghell und riesige Blitze stehen am Himmel, kreuz und quer zwischen den Wolken. Die Regenzeit streckt ihre ersten spektakulären Fühler aus.
Nach einer halbstündigen Fahrt erreiche ich das Hostel. Unscheinbar sieht es von außen aus, nur ein kleines Schild verrät den Namen „Islandlifebackpackers“.
Chris, ein Engländer, hat dieses Haus in der Zona Colonial, dem historischen Stadtteil von Santo Domingo, vor ein paar Jahren gekauft und mit seiner Frau zu einer kleinen Insel mitten in einer Großstadt umgebaut, auf der man sich vom quirligen und heißen Straßenleben erholen und im kleinen Pool erfrischen kann.
Man merkt an der Einrichtung und Ausstattung, dass Chris selber Backpacker ist, auch wenn er derzeit weniger reist. Die Zimmer haben Aircondition, jedes Dorm-Bett hat ein eigenes Licht, Stromanschluss und Schließfächer, in denen alle Gepäckstücke Platz finden. Es gibt eine Gemeinschaftsküche mit langer Tafel, an der man leicht andere Reisende kennenlernt, eine TV-Lounge mit Netflix-Anschluss, eine gut ausgestattete Bar und seit ein paar Jahren äußerst wichtig: überall sehr guten Internetanschluss. Für mich persönlich ist das wichtigste der morgendliche Kaffee, zu dem man sich nach Belieben Pfannkuchen braten kann.
Das Hostel ist wie das Wohnzimmer einer großen internationalen Familie, die bald Zuwachs erhält. Chris und seine Frau bekommen eine kleine Tochter, die schon bald mehr Menschen kennen und mehr über die Welt wissen wird, als manch Erwachsener.
Obwohl ich versuche Aufenthalte in Großstädten zu vermeiden, bleibe ich länger in Santo Domingo. Die Sehenswürdigkeiten im alten Stadtteil habe ich schnell abgelaufen, Museumsbesuche bei 36 Grad erspare ich mir, mache dafür einen Ausflug zu Tres Ojos, den beeindruckenden Frischwasserhöhlen, lerne, dass ich in zwei Stunden mehrere Liter Wasser trinken und wieder ausschwitzen kann und verbringe einen Nachmittag an den schönen Stränden des Vorortes Boca Chica, mit den besten Mamajuana-Verkäufern des Landes. Mamajuana – eine alkoholische Landesspezialität, ein Aufguss mit Rum, Rotwein, Honig auf diverse Gewürze wie Zimt – ist ein „All-Heilmittel“, dass alles lindern kann aber vor allem der Potenz zuträglich sein soll. Unser Verkäufer auf jeden Fall redet nicht lang sondern füllt ein 4cl-Gläschen, dass wir nicht teilen dürfen, sondern jeder eins und kurz danach ein zweites trinken sollen. Das verfehlt in der Mittagssonne seine Wirkung nicht, die Verkaufsstrategie geht auf und schon wird eine überteuerte Flasche gekauft. Aber das ist eine andere Geschichte.
Letztlich sind es nicht Santo Domingo und die Sehenswürdigkeiten sondern der Charme vom Backpacker-Hostel, der mich festhält. Dort geht die Zeit langsamer, es ist der perfekte Ort um zu Beginn einer Reise nicht nur die Uhr sondern die eigene Geschwindigkeit umzustellen – von hektisch auf entschleunigt. Chris und sein Team verstehen es eine entspannte Atmosphäre zu verbreiten, in der man gern ein paar Tage länger bleibt.
Für mein „Durchhaltevermögen“ in der großen Stadt, in der es sogar IKEA und ein kleines China-Town gibt, werde ich am letzten Abend belohnt, als ich zufällig zu einem Konzert in „Las Ruinas“ gehe, nur ein paar Straßen entfernt, auf einem kleinen Platz. Wir haben keine Vorstellung von dem, was uns erwartet, als wir die kleine kopfsteingepflasterte Straße in Richtung Ruine hochgehen. Mit jedem Schritt wird die Musik lauter und es wird deutlicher, dass es nicht nur ein kleines unscheinbares Konzert von ein paar Straßenmusikern ist sondern ein richtiges Event. Auf der extra aufgebauten Bühne stehen sieben oder acht Musiker, die das Publikum zu den Klängen von Bachata, Merengue und Salsa mitreißen. Manche stehen und bewegen sich rhythmisch, die Tänzer füllen die Tanzfläche vor der Bühne, manche sitzen auf Plastikstühlen und singen die bekannten Lieder mit – sie alle verwandeln den Platz zu einem Hexenkessel, an dem die Stimmung elektrisch ist und der einen in seinen Bann zieht. Groß, klein, jung, alt – alle sind da, feiern, tanzen und tragen ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Die beste Sonntagabendparty, die ich je gesehen habe.
Sofort sind die unzähligen Mückenstiche vergessen, die letzten Auswirkungen des Jetlags verflogen und die novemberlichen Temperaturen in der Heimat unendlich weit entfernt. Wie es wohl wäre in Deutschland jede Woche mit dieser Dynamik, Energie und Freude ausklingen zu lassen und tanzend in den Montag zu feiern? Stattdessen Tatort, Couch und der Gedanke an die Arbeit. Aber Moment! Es gibt in Hamburg das Feuerstein, dass jeden Sonntagabend zur „Noche Latina“ Salsa, Merengue und Bachata spielt und ein bisschen dieses Gefühls nach Deutschland holt. Da werde ich in Zukunft öfter einen Sonntagabend verbringen. Also in etwas fernerer Zukunft…
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