Vor ein paar Wochen fragte jemand, wer Lust hat für das Buch „Boarderlines“ von Andreas Berndt eine Rezension zu schreiben. Rezensieren, denke ich mir, das wollte ich schon immer ausprobieren. Kurze Zeit später ist ein kleines Päckchen in meinem Briefkasten, dass ich tagelang nicht auspacke, weil ich selber seit Monaten auf dem Trockenen sitze, Surfentzug habe und das Surf- und Fernweh so gut es geht unterdrücke. Ein Reise- UND Surfbuch ist genau das letzte, was ich meinem kleinen inneren Reisemonster zumuten möchte. So kommt es doch nicht zur Ruhe!
Mahnend liegt der braune Umschlag auf meinem Tisch, bis ich mich entscheide ihn zu öffnen und dann Tage verstreichen lasse, bis ich die Ruhe und den Mut finde, die ersten Kapitel zu lesen. Denn eigentlich möchte ich viel lieber selber surfen und reisen.
Zehn Jahre Entscheidungsprozess
Aber jetzt es geht um Boarderlines, die Reisen von Andreas Brendt und die weichenstellenden Fragen, die nicht nur er sich am Studienende stellt, inbesondere, wenn man mit dem Reise- oder Surffieber infiziert ist, einen Einblick in das Leben auf anderen Kontinenten erhaschen durfte und die neue (Surf-)Leidenschaft so gar nicht mit dem belegten Studienfach und den bisherigen Lebensplänen vereinbar scheint.
Andreas nimmt den Leser über einen Zeitraum von 10 Jahren mit, an die schönsten Orte der Welt, zu den geheimsten Surfspots und auf die Suche nach Antworten auf die Frage: Surfen oder „Karriere“? Leidenschaft oder Sicherheit?
Genauso gefangen
Alles beginnt mit der Frage: „Hey Andi, lass doch mal verreisen!“, führt nach Bali und Australien, in die ersten großen Wellen, schöne und verwunderliche Reisebegnungen und endet vorerst auf dem harten Universitätsboden mit der heimtückischen Feststellung, dass er nach dem intensiven Freiheitserleben „genauso gefangen in Gewohnheit und gesellschaftlicher Vernunft“ ist, wie alle Anderen. Und jeder, der einmal länger verreist ist, weiß wie ernüchternd diese Feststellung ist, nachdem man Pandoras faszinierende Reise-Büchse geöffnet hat. Da gibt es kein Vergessen, schon garnicht, wenn die Wellen rufen. Es dauert drei Monate bis zur nächsten Reise, dieses Mal zu den Wellen in Südafrika.
Die Unvereinbarkeit
Es beginnt ein Wechselspiel zwischen Zen-Momenten beim Reisen und Surfen und den zermübenden Sinnfragen. Mal minimalistisch-Nudeln auf dem Campingkocher, schlafen im Auto, mit den ersten Sonnenstrahlen aufs Brett, ein bisschen kiffen. Dann studieren, und die Suche nach Erklärungen und Lösungen für das Dilemma, in dem er sich befindet. Es folgen Jobs in Surfcamps, harte Sparmaßnahmen, um die nächsten Reisen zu finanzieren und zwischendurch die Feststellung: „Wirklich aufzugeben ist ein zu großer Schritt“ – also nach der Reise wieder zur Uni und „das Bedürfnis nach Sicherheit der Liebe nach Abenteuer“ unterordnen.
„Anders ist niemals schlecht“
Dann gibt es Ruhemomente und Einsichten wie „anders ist niemals schlecht“. Aber anders ist meist nur für ein paar Wochen, ein paar Monate ok. Dann rufen die nächsten Wellen, mal als Leiter eines Surfcamps, mals als Surfer, der sich den Naturgewalten stellt. Andreas entführt den Leser auf die Malediven, nach Ecuador, nach Neuseeland. Er erzählt von Liebeskummer, den kleinen verrückten Reisemomenten und oft genug habe ich das Gefühl ich sitze nur ein paar Meter neben ihm in den Wellen.
Nach 8 Jahren surfen, reisen, nachdenken, leben, philosophieren fällt er seine Entscheidung. Für Sicherheit.
Aber nur temporär. Denn jeder, der viel reist, weiß: Nach der Reise ist immer vor der nächsten.
Schöne Sätze und „verbotene“ Wörter
Er schreibt schöne Sätze wie „Die Seele reist langsamer, braucht länger, weil sie nicht nur Zeitzonen und Vegetationsformen überwinden muss, sondern mehr.“ Er nutzt manchmal kantige Vergleiche, die den Fluss des Lesens stauen, wie „ganzheitliches Lernen (ist) hier so wichtig (…) wie Starkstrom im Kinderzimmer“ oder Wörter wie „putzig“ und „schnuckelig“, die 13 jährigen Teenagern vorbehalten sind.
Wenn man auf dem trockenen sitzt, Reise-Weh hat, ist das Buch ein kleiner Trost und hilft bei der Suche nach neuen Reiseideen. Es ist ein Buch, dass verdeutlicht, wie lange ein Entscheidungsprozess dauern kann und wie fordernd das Leben zwischen zwei Welten ist. Am Ende steht nicht ein „entweder oder“. Sondern ein „beides“. Nicht auf einmal, aber im Wechsel. Ich bin gespannt, welche Geschichten Andreas im zweiten Buch erzählt, dass er auf den letzten Seiten ankündigt.
Aber jetzt Schluss mit „Boarderlines„. Ich muss packen. Morgen fliege ich selber endlich wieder ab. Wenn auch nicht in die Wellen – aber dafür nach Jordanien. Selber reisen ist nun mal besser als jedes Buch.
Weitere Reisebücher gibt es in: Reisebücher – für das Fernweh zu Hause.
***Für die Erstellung der Rezension wurde mir das Buch kostenfrei zur Verfügung gestellt.***
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