Es gibt nur eine Mafia
Ich habe die letzten zwei Monate mit kurzen Unterbrechungen in Kuba verbracht, die Sprache gelernt, bei Gastfamilien gelebt, Einblicke in unterschiedliche Leben und Geschichten erhalten und hautnah miterlebt, wie schwierig und fordernd die Dinge des tägliche Lebens im Land der 59jährigen Revolution sind. Das Land der eingeschränkten Pressefreiheit, dass sich mit freier Bildung und einem kostenlosen Gesundheitssystem rühmt, die Bevölkerung mit Dauer-Anstehen beschäftigt, mit permanentem Mangel ablenkt und in dem die Auskunft auf der Straße oft ist: Es gibt hier nur eine Mafia.
Latenter Leidensdruck
Als ich nach zwei Monaten das Land verlasse bin ich bei der Ankunft in Mexiko erleichtert und verstehe das erste Mal die Tragweite des andauernd subtilen Leidensdrucks und der vordergründigen Lebensfreude. Es ist als würde jemand Gewichte von meinen Schultern und einen Schleier der Depression von meinen Gedanken heben.
Trotzdem bin ich zurückgekehrt. Denn Obamas Besuch steht an und das ist ein historisches Ereignis, dass ich gern in Kuba erleben möchte.
Für mich gibt es drei große Fragen zu bedeutenden weltpolitischen Entwicklungen der neueren Zeit:
- Wo warst Du, als Kennedy erschossen wurde? (Noch nicht auf der Welt.)
- Wo warst du, als die Mauer fiel? (Im Wohnzimmer meiner Eltern, zu klein um die historische Tragweite zu verstehen.)
- Wo warst du am 11. September? (Im Studentenwohnheim in Hamburg, ungläubig und zu Tode besorgt, weil mein damaliger Freund auf einem Schiff kurz vor New York war.)
Obamas Besuch in Kuba
Ich bin zurückgekehrt, weil ich vor Ort sein wollte, wenn Obama kommt und die Rolling Stones spielen. Ein symbolischer Tag, ein bedeutender Schritt in der Annäherung der zwei Länder, beobachtet von der ganzen Welt. Ich bin gespannt und froh im Land zu sein, wo der erste Besuch eines amtierenden US-Präsidenten ansteht. Und natürlich möchte ich von jedem Kubaner wissen und hören, dass er mindestens genauso aufgeregt ist wie ich. Doch die Antworten sind unterkühlt: „Ach, lass die da oben mal machen! Was interessiert es mich.“ „Hoffen wir, dass es sich bessert.“
Als Präsident Obama endlich im Land ist, das Gespräch mit ihm, Journalisten und Raul stattfindet, bleibt das Leben nicht stehen. Es geht weiter. Leute sind beschäftigt mit Anstehen, nirgends knallen Sektkorken, weder Freude noch Aufregung sind zu spüren. Resignation statt Revolution. Auch anschließend ändert sich wenig.
Ich war überzeugt, es würde eine vierte Frage geben. Aber wahrscheinlich wird nie jemand fragen, wo ich war, als Obama nach Kuba kam. Die Rolling Stones werde ich mir trotzdem ansehen.
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