„Ich glaube, der glücklichste Moment im Leben eines Menschen ist eine Abreise in unbekannte Länder.“
Sir Richard Francis Burton
Ablenkung ist besser als Nachdenken
Oktober 2010
Oh Gott! Die Müllsäcke mit den Klamotten müssen in den Keller. Die Fenster – sauber ist anders! Mein leer geräumtes Zimmer ist von Wollmäusen bevölkert. Saugen, Fenster putzen – das schaffe ich nicht. Ich muss fertig packen. Sorry, Zwischenmieterin.
Mir bleiben 45 Minuten, bis ich aus dem Haus muss. Zum Flughafen. Reisen. Nichts als Reisen. Mindestens sechs Monate. Endlich! Tansania, Kilimandscharo, Sansibar – und das ist nur der Anfang.
Obwohl ich die letzten zwei Wochen Zeit hatte, bin ich beschäftigt bis zur letzten Minute. Ausrüstungsbeschaffungs-Marathon, Ärzte-Dreisprung, Umtausch-Zehnkampf und Abschieds-Ironman haben alles gefordert. Ganz davon abgesehen, dass ich gestern, einen Tag vor der Abreise, meine letzten Flüge gebucht habe. Es muss immer aufregend sein.
Ich rase durch die Wohnung, wische flüchtig den Staub vom Schreibtisch, verschicke letzte Emails, beende Chats und telefoniere mit meinen Eltern. Es fühlt sich wie ein endgültiger Abschied an, dabei werde ich in drei Monaten kurz zurück in Deutschland sein, zum Glück nur für ein paar Tage.
Einer muss mit
Ich ziehe die Wanderstiefel an, die mich bald auf den Kilimandscharo bringen sollen, wuchte den schweren Rucksack auf die Schultern, bin fast zur Tür raus und halte kurz inne. Ich werfe einen letzten sentimental aufgeregten Blick in mein frei geräumtes Zimmer, übergebe den Wohnungsschlüssel, verabschiede mich von einem meiner Mitbewohner. Der andere muss mich zur Bahn begleiten, weil ich plötzlich nicht allein sein möchte.
Dann ziehe ich die Tür hinter mir zu. Die Tür, durch die ich in den letzten Jahren tausende Mal gegangen bin, um nach Hause zu kommen. Die Tür, hinter der ich Reisepläne geschmiedet habe. Die Tür, hinter der die geballte Unzufriedenheit und das alte Leben zurück bleiben, dass mich gelangweilt und zermürbt hat.
Was kommt als Nächstes?
Ich laufe zügig zur S-Bahn, so als könnte ich nicht schnell genug weg kommen. Ich steige ein, fahre los, hole tief Luft und führe die letzten Chats per SMS fort. Busy sein. Wer beschäftigt ist, muss nicht darüber nachdenken, was als Nächstes kommt. Was kommt eigentlich als Nächstes?
Ich habe meinen Job gekündigt, bin auf dem Weg in unbekannte Länder, lasse meine Freunde zurück und habe absolut keine Ahnung, was mich erwartet.
Versuchen Sie es!
Die Fahrt zum Flughafen rauscht an mir vorbei. Ehe ich mich versehe, stehe ich am Check-In-Schalter und reiche meinen Reisepass über den Counter. Die Mitarbeiterin nimmt ihn, schaut hinein und fragt:
Sie haben kein Visum für Tansania?
Nein. Das kann ich am Flughafen von Daressalam kaufen.
Sie sagt: Aber Sie bleiben so lang!
Ich schlucke. Ich bleibe lange? Mein Rückflug ist in weniger als drei Monaten! Und in diesen drei Monaten werde ich nicht die gesamte Zeit in Tansania bleiben.
Die Dame schaut auf ihren Bildschirm, blättert durch meinen Pass und sieht sich hilfesuchend um, womit sie mich mehr und mehr verunsichert. Meine Vorfreude wird von Zweifeln verdrängt. Ich habe doch gelesen, dass es das Visum am Ankunftsflughafen gibt.
Ok, ich habe den Text halbherzig überflogen. Und ja, ich habe auch gelesen, dass es clever ist, das Visum vorab zu organisieren. Aber ich wollte meinen Pass nicht kurz vor Abflug quer durch die Republik schicken.
Jetzt sagt der Auslöser meiner Nervosität: Die denken möglicherweise, dass Sie im Land arbeiten wollen.
Ich antworte nicht, schaue die Frau dafür genau an. Sie trägt eine Brille, wirkt durch ihre Berufskleidung älter als sie vielleicht ist. Sie ist nervös und hilflos, tippt auf ihrer Tastatur und wendet ihren Blick fragend in Richtung ihrer Kollegen.
Ihr Blick bleibt bei ihren Kollegen, was mir genügend Zeit gibt, um mein inneres Panikprogramm zu starten. Und das geht so:
Wird die Reise bereits vor Abflug unterbrochen? Muss ich hier bleiben? Hätte ich den Text doch nur genauer gelesen! Was kann ich jetzt machen?
Ok. Luft holen. Wenn ich heute nicht fliegen kann, dann in ein paar Tagen. Ich fahre mit Pass nach Berlin und organisiere mir das Visum dort. Wie lang kann die Bearbeitung in der Botschaft dauern? Was kostet die Umbuchung meines Tickets? Bedeutet das, dass die Reise an Tag 1 teurer wird und damit die mögliche Verlängerung ausfällt? Mist!
Dann höre ich die Frau sagen: Na gut. Versuchen Sie es.
Notfallprogramm II
Ich bin erleichtert, dass ich nicht in Hamburg bleiben muss aber der Satz „Versuchen Sie es.“ hallt nach. Bye bye innere Ruhe.
Ich gebe meinen Rucksack ab, wühle in meiner anderen Tasche nach dem Lonely Planet und lese nach. ICH bin richtig informiert! Innerlich fluchend wandere ich zum Gate und lese den Visumsteil erneut. Ich behalte Recht, bin aber nicht mehr ganz so entspannt wie noch vor ein paar Minuten.
Während ich auf den Abflug warte, rufe ich meine Eltern an. Soll ich erzählen, was ich gerade erfahren habe? Nicht, dass ich die beiden beunruhige.
Ich erzähle es. Ändert aber nichts an der Lage und dass ich gedanklich sehe, wie ich am Flughafen in Tansania abgewiesen werde. Was mache ich dann? Notfallprogramm II:
Deutsche Botschaft anrufen? Zurückfliegen? In ein anderes Land fliegen?
Vorausgesetzt, ich komme bis nach Afrika, denn in Istanbul muss ich umsteigen. Und was, wenn ich dort stecken bleibe?
Mein Gedankenkarussell wird durch das Boarden unterbrochen. Ich steige ein, stopfe meine Tasche in das Gepäckfach, setze mich. Während im Hintergrund die Sicherheitsvorkehrungen abgespult werden, wird es ernst für mich: Jetzt ist der Zeitpunkt wirklich gekommen. Ich fliege weg. Ich lasse mein geliebtes aber nach elf Jahren nervendes Hamburg zurück. Die Sterne bringen es mit dem Lied „Wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt“ auf den Punkt.
Ich trete jetzt die Reise an, die vor so langer Zeit den Spitzenplatz in meinen Träumen eingenommen hat. Es geht wirklich los.
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Du hast die Einleitung verpasst? Die findest du hier.
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Reisevorbereitung
Tipps zur Reisevorbereitung, die wichtigsten Webseiten zur Recherche von Visums- und Sicherheitsfragen findest du in: Reiseziele und Sicherheit.
[…] Viel Spaß beim Lesen, beim Mitreisen und Träumen. Um die Privatsphäre von Menschen, Freunden, Reisegefährten zu schützen, sind alle Namen geändert – bis auf meinen. Auch wenn die Rückkehr nicht der schönste Moment meiner Reise war, würde ich rückblickend immer wieder „ja“ sagen, als mein bester Freund nach monatelangem Hin- und Herüberlegen sagte: „Dann mach es doch einfach!“Los geht es mit Teil 1: Abreisetag – Muss ich hier bleiben? […]
[…] 1: Einleitung – 9 Monate WeltreiseTeil 2: Abreisetag – muss ich hier bleiben?Teil 3: Was habe ich mir bloß bei dieser Reise gedacht?Teil 4: Hast du gerade gelesen : )Teil 5: […]
[…] vorhergehenden Kapitel verlinke ich dir hier:Kapitel 1: Einleitung: 9 Monate WeltreiseKapitel 2: Abreisetag: Muss ich hier bleiben?Kapitel 3: Hast du gerade gelesen : )Kapitel 4: Ankunft in Tansania: Wenn Mission 1 an Tag 1 […]