Einer dieser Tage…
Läuft heut nicht. Und das passt nicht zu den letzten zehn Tagen: Ein Wiedersehen mit fünf Freundinnen nach 10 Jahren, eine türkische Hochzeit mit 660 Gästen, schöne Tage auf der charmanten Insel Bozcaada und jetzt einen letzten Tag in der pulsierendsten Stadt, die ich kenne: Istanbul. Mit den Freundinnen. So war der Plan.
Dann bucht Karina eine Nacht-Schifffahrt auf dem Bosporus und Liana hat aus heiterem Himmel ein Date. Es ist 18 Uhr als ich herausfinde, dass ich den ersten „freien“ Abend seit zehn Tagen haben werde. Für einen Moment weiß ich nichts mit mir anzufangen. Aber im Zweifelsfall setze ich mich in die Hostel-Lobby, da passiert immer etwas, irgendwer hat immer Zeit und Lust sich zu unterhalten.
Abends am Bosporus
Heute ist es der Hostel-Chef, der die Mission hat, sich um die Nahrungsaufnahme seiner Gäste, in diesem Fall ich, zu sorgen und sie wieder vor die Tür zu schicken.
Er: „Was machst du heut noch?“
Anica: „Ich glaub nichts mehr.“
„Willst du nicht mehr zu Abend essen?“
„Hm. Vielleicht eine Kleinigkeit, hab gar keinen Hunger. Gibt es einen netten Laden um die Ecke?“
„Du kannst wieder nach Taksim und ….“
Ich unterbreche ihn. Ich will nicht mehr nach Taksim. Das hieße wieder die steilen Hügel zu erklimmen. Nach einer Nacht im Bus und einem hyperaktiven Tagesprogramm schaff ich das nicht noch einmal.
„Dann kannst Du zum Bosporus gehen, am Wasser gibt es ein paar Cafés.“
„Ist das sicher? Für mich allein?“
„Ja, kein Problem hier.“
Ein halbe Stunde später stehe ich vorm Hostel, kurz darauf am Wasser. Und wie froh bin ich, dass ich das mache. Die Aussicht allein ist es wert. Wie neu aufgeladen schlendere ich in der Dunkelheit am Wasser entlang. Familien, Touristen und Pendler sind unterwegs, die meisten steigen in eine der Fähren zur anderen Seite ein. Unentschlossen laufe ich in eine Richtung, dann wieder in die andere. Dann weiß ich es. Grillfisch. Ich laufe ein drittes Mal die Strecke am Wasser entlang und kaufe mir ein Grillfischbrötchen.
Er gehört nicht zu mir!
Nach drei Bissen habe ich Gräten im Mund und weiß, dass es keinen vierten Biss geben wird. Hunger habe ich nun aber. Also auf zum Maiskolben-Stand. Auf halbem Weg muss ich stehen bleiben, drei Leute kommen mir entgegen. Der Weg ist versperrt. Schräg hinter mir bleibt ein junger Mann stehen. Ich sehe ihn kurz an. Sein Weg ist jetzt frei. Warum geht er nicht? Egal, jetzt habe ich freie Bahn. Mit Blick auf den Maiskolbenstand ziehe ich weiter, halte vor dem Mais-Grill und will bei den beiden Jungs, nicht älter als 15, bestellen. Doch der Verkäufer fragt nicht, was ich möchte sondern:
„Gehört er zu Dir?“
„Wer?“
Ich schaue nach rechts. Das ist wieder der Typ, der vor drei Minuten bereits neben mir stand! Er steht nur zwei Meter entfernt, starrt mich an.
Ich schüttele den Kopf. Ein Hauch von Wut flimmert in den Augen das kleinen Verkäufers auf. Er sagt etwas zu dem Typen, gestikuliert, dass er verschwinden soll, und folgt ihm aufmerksam mit seinen Augen. Dann wendet er sich mir zu, fragt was ich möchte und sagt, dass ich mich auf den Plastikstuhl neben seinem Stand setzen soll.
You are safe!
Wieder wandert sein Blick in die Richtung von dem Typen. Ich setze mich verwundert auf den Stuhl, schaue in dieselbe Richtung. Er steht 20 Meter weiter weg, am Zaun, das Gesicht zum Zaun gewendet. Warum geht er nicht weiter? Was macht der? Pinkelt er? Oder macht er sogar…. das macht er doch nicht? Nein, macht er nicht, zu viele Leute.
Der kleine Verkäufer sagt „Don’t worry. You are safe. You stay here.“, und gibt mir meine Bestellung. Bis eben habe ich mir nichts dabei gedacht, jetzt wird mir mulmig.
Ich esse wie in Zeitlupe und verstehe nicht, was gerade abläuft. Seit wann läuft mir der Typ hinterher? Warum habe ich das nicht bemerkt?
Der kleine Verkäufer redet mit seinem Freund und geht dann in Richtung meines Verfolgers, spricht mit ihm. Für einen Moment wende ich meine Aufmerksamkeit ab. Als ich den Blick hebe, schaue ich in zwei wilde dunkle Augen, die mich anstarren, nur zwei Meter vor mir. Der Typ ist zurück und der kleine Verkäufer reicht ihm einen Maiskolben, fragt wo er her sei (Deutschland). Ich beobachte die Unterhaltung und gebe nicht zu erkennen, dass ich aus demselben Land komme. Ich möchte nur, dass er verschwindet, möchte keinen Ansatzpunkt für eine Unterhaltung liefern. Was zum Teufel ist hier los? Und ausgerechnet ein Deutscher, ein anderer Reisender läuft mir hinterher?! Deswegen ist er mir nicht aufgefallen, habe ich mir nichts dabei gedacht – er hat die beste Tarnung. Einfach ein anderer Backpacker, der einen Nachtspaziergang macht.
Dann schickt der kleine Verkäufer den Stalker weg und er zieht von dannen – in die Richtung, die mein Heimweg ist. Der kleine Verkäufer sagt, dass der Typ gereist sei, nun kein Geld mehr habe und in Istanbul festhängt. Ich glaube, das ist nur ein Teil der Wahrheit. Dieses Mal wende ich meinen Blick nicht von der Richtung ab, in die der Typ verschwunden ist.
You never walk alone!
Zehn unendlich lange Minuten später entscheide ich mich den Rückweg anzutreten. Die kleinen Verkäufer sind der Meinung, dass ich nicht allein gehen kann. Ich versuche sie überzeugen, dass es ok ist, weil viele Leute unterwegs sind, ich es nicht weit habe. Aber sie lassen mich nicht allein, einer begleitet mich. Und nur ein paar Minuten später bin ich sehr froh darüber. Der Typ kommt uns wirklich erneut entgegen. Dieses Mal rennt er, an uns vorbei und verschwindet im Dunkel der Nacht.
Mein kleiner Beschützer wirkt gestresst. Ich bin es jetzt auch und letztlich mehr als froh, als ich die Hostellobby geschockt betrete. Luft holen. Hinsetzen. Durchatmen. Was war denn das jetzt? Und wer war das? Und warum lief er mir wie ein Schatten hinterher? Die Fragen werden wohl für immer offen bleiben.
Aber ich bin dankbar. Içten teşekkürler, arkadasch vom Maisstand. Herzlichen Dank, mein Freund vom Maisstand. Das werde ich nicht vergessen. Und den Stalker wohl auch nicht.
P.S. Hoffen wir mal, dass mein erster Stalker auch mein Letzter ist.
P.P.S. Don’t tell the parents ; )
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