Seit Wochen gibt es ein ständig wiederkehrendes Thema in allen Gesprächen. G20. Eigentlich seitdem bekannt ist, dass das Gipfeltreffen in Hamburg stattfinden wird, herrscht Verwunderung darüber, warum der Summit unbedingt mitten in der Stadt tagt, genau im Bermuda-Dreieck der Stadtviertel, die für Widerstand und Anti-Kapitalismus bekannt sind: das alternative Karo-Viertel, die Sternschanze mit der Roten Flora und das besetzte Gängeviertel. Nicht zu vergessen das angrenzende St. Pauli.
Die Regierung sagt dazu:
Hamburg ist nach Presseberichten von Kanzlerin Merkel in Abstimmung mit Bürgermeister Scholz als Veranstaltungsort gewählt worden, um an die Rolle der Stadt als „Tor zur Welt“ zu erinnern. Weiter ehre man so den verstorbenen Sohn der Stadt Helmut Schmidt, der diese Treffen 1975 als Bundeskanzler mit ins Leben gerufen hatte.[1]
Naja….Hamburg wollte die Großveranstaltung Olympia nicht und hat per Volksentscheid nein gesagt. Bei der Planung des G20 fand kein Volksentscheid statt…
Mich, und sicher viele andere auch, haben in den vergangenen Wochen diese Vermutungen und Spekulationen beschäftigt: Wird etwas passieren? Eskaliert die Lage? Werden wir uns frei in unserer Stadt bewegen können? Ist der G20 nun gut oder schlecht? In der Stadt bleiben und demonstrieren oder lieber raus aus der Stadt und weit weg von dem, was passieren kann?
Ein Thron und Kamele
Zwischendurch liest man in den Zeitungen, welcher Regierungschef in welchem Hotel absteigt. Frau Merkel wird die Nachbarin von Udo Lindenberg und damit auch meine. Das Atlantik, wo Udo residiert, ist in meinem Stadtteil nur wenige Gehminuten von meiner Wohnung entfernt. Putin wohnt im Hyatt in der Innenstadt, gleich in der Hauptgeschäftstraße, was diverse Läden aus Angst vor Zerstörung dazu zwingt, die Geschäfte zu schließen. Am spektakulärsten ist der Saudische König, der das gesamte 4-Jahreszeiten gemietet hat. Er kommt mit seinem Thron und angeblich auch mit Kamelen.
G20 in Hamburg: Die Tage davor
Montag:
Vor den Deichtorhallen stehen bereits die Übertragungswagen des ZDF. Entlang der S-Bahn-Gleise in Richtung Sternschanze, auf dem Weg zum Tagungsort, ist mindestens seit letzter Woche das rot-weiß-gestreifte Absperrband abgebracht. Vor dem Hotel Royal Meridien stehen ungewöhnlich viele schwarze Mini-Busse und Autos.
Dienstag:
Der innerstädtische Flugverkehr hat zugenommen. Viele Hubschrauber sind unterwegs – unheimlich sind diese riesigen Militärhubschrauber, die zwei Propeller auf dem Dach haben. Es soll eine Evakuierungsübung stattfinden, höre ich. Wer, wann, wie und wieso evakuiert werden soll, weiß ich nicht. Ich frage mich, ob diese Übung nicht sehr kurzfristig ist?
Bei der Fahrt um die Alster ist auffällig, dass viele Absperrzäune zum Aufbau bereitstehen. Das THW hat Wagen entlang der Alster geparkt, auf dem Wasser ist Wasserschutzpolizei unterwegs.
Karstadt in der Innenstadt hat bereits die Schaufenster mit Holzplatten geschützt. H&M hat die Scheiben ganzflächig beklebt – schwer zu sagen ob es einfach Werbung für den Sale ist oder die Beklebung eine Doppelfunktion hat.
In der Mönckebergstraße steht ein Info-Mobil der Polizei.
Mittwoch:
In der Zeitung ist heut zu lesen, dass das hedonistische Cornern vom Vorabend – d.h. Biertrinken an einer Straßenecke zwischen Schanze und St. Pauli – mit Wasserwerfern aufgelöst wurde.
Das Schauspielhaus hat vergangene Nacht seine Pforten geöffnet für die angereisten Demonstranten, die noch keinen Schlafplatz hatten aufgrund der geräumten bzw. verbotenen Zeltcamps.
Elton Johns Konzert wird abgesagt, weil die Landeerlaubnis zu spät erteilt wurde – auf dem Flughafen haben die Regierungschef Vorrang.
Auf dem Weg zur Arbeit kann ich Polizisten zusehen, wie sie nun Gullideckel versiegeln.
In der Innenstadt findet eine Zombie-Demonstration des Kollektivs 1000 Gestalten statt. Zombies als Symbol für die Hilflosigkeit der Bevölkerung vor den komplexen Zusammenhängen unserer Welt.
Auf dem Heimweg wirkt die Stadt deutlich ruhiger als sonst. Weniger Verkehr. Vermutlich haben viele Hamburg verlassen. Ganze neun Polizei Mini-Busse und einen großen Polizeibus sehe ich auf einer Strecke von 3 Kilometern, auf der sonst so gut wie nie Polizei zu sehen ist. Ist Hamburg dieses Wochenende der sicherste Ort der Welt oder der ’heißeste’?
Weil am Wochenende viele Einrichtungen und Geschäfte geschlossen sein werden, öffnen einige Museen ihre Pforten am Montag ganz ohne Eintritt zu nehmen. Ob das all die kleinen Geschäftsinhaber für die Verluste entschädigt?
An den Landungsbrücken wird heut Abend unter dem Motto „Lieber tanz‘ ich als G20“ demonstriert. Ich gehe zu einer Lesung ohne Atomstrom, ganz in der Nähe der Messehallen, wo ab Freitag die G20 tagen und seit Monaten die Polizei sehr präsent ist.
Schauen wir, wie sich die nächsten Tage entwickeln.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/G20-Gipfel_in_Hamburg_2017
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